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Multiplikatorinnen-Seminar in Warschau

Vom 19. – 24. Juni 2006 fand in Warschau ein deutsch-polnisches Multiplikatorinnentreffen statt, das von der Fraueninitiative Berlin-Warschau e.V. organisiert wurde. Das Thema meines Eröffnungsreferats lautete: Frauenpolitik in den Programmen der deutschen Parteien – Veränderungen und Kontinuitäten.

Gemeinsam mit Georgia Franzius habe ich einige Gedanken zur Reise und zur aktuellen Lage in Polen zusammengefasst.

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Mitte: Izabela Jaruga-Nowacka, ehm. Vize-Premier und Gleichstellungsbeauftragte der Polnischen Regierung, zweite von li: Beata Fiszer, Vorsitzende PSF, Warschau

Das Ziel des Seminars bestand vor allem darin, deutsche und polnische Teilnehmerinnen für einander und für die Problematik innerhalb des anderen Landes zu sensibilisieren. „Was können polnische Frauenorganisationen in der veränderten politischen Situation in Polen tun? Lässt sich aus deutschen Erfahrungen im Umgang mit Frauenpolitik lernen?“ waren Fragen, die das gesamte Seminar begleiteten.

Die Konsequenzen der Regierungsbildung durch eine rechtskonservative Regierung dominierten die Diskussion. Beata Fiszer, Vorsitzende des PSF Frauenzentrum Warschau, zog eine ernüchternde Bilanz „Wir haben es zurzeit mit einem backlash in Bezug auf Frauen- und Minderheitenpolitik zu tun, wie es ihn seit 1989 nicht mehr gab“. So hat die neue rechtskonservative Regierung nach den Wahlen 2005 das Amt der Gleichstellungsbeauftragten abgeschafft und damit die Kontinuität der Gleichstellungsarbeit, die in den Legislaturperioden zuvor geleistet wurde, unterbrochen. Mit der Reaktivierung des „Mutter-Polin Mythos“ setze Polens neue Regierung mit der Unterstützung der katholischen Kirche nun auf die Propagierung eines christlich konservativen Frauenbildes in dem der Frau ihre „natürliche“ Rolle als Mutter und Ehefrau zugeschrieben wird.

Ein Abgeordneter einer der rechtskonservativen Parteien (PiS), Marian Piłka formuliert es folgendermaßen: „Die Trennung von Mutter und Kind ist ein psychischer Gewaltakt. In einem Nachsatz empfiehlt er den Frauen, auf hormonelle Verhütungsmethoden zu verzichten. Die Beraterin des Präsidenten Marcinkiewicz, Hanna Wujkowska spricht sich offen dafür aus, dass im Rahmen des schulischen „Aufklärungsunterrichts“ nur die Methode der natürlichen Verhütung vermittelt wird. Anstelle der Gleichstellungsbeauftragten gibt es in der neuen Regierung nun einen neuen „Ausschuss für Familie und Frauenrechte“ dem die ehemalige Sprecherin des antisemitischen Radiosenders „Radio Maryja“, Anna Sobecka vorsitzt.

Während ihres Vortrages auf der Frauenkonferenz betonte die ehemalige Gleichstellungsbeauftragte der Regierung, Izabela Jaruga-Nowacka, dass in dem „gesamten Dokument des Ausschusses das Wort „Frau“ nicht erscheint. Es wird durch Wörter wie „Familie“ und „Mutter“ ersetzt. „Familie“ und „Volk“, das sind die neuen Stichwörter der Regierung. Respekt vor Minderheiten und das Akzeptieren von Differenz scheinen derzeit nicht auf der offiziellen Tagesordnung zu stehen.

Besondere Bedeutung haben – laut Jaruga-Nowacka – gegenwärtig regierungsunabhängige Strukturen, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau durchzusetzen suchen. In ihrem Beitrag zur Wartschauer Konferenz appelliert sie an die polnische und die europäische Zivilgesellschaft, die sich nun mit ganzer Kraft für ihre Rechte einsetzen solle. Nach Jaruga-Nowacka sei die Lage so ernst, dass „jetzt keiner mehr sagen darf, ich habe aber keine Zeit, an Demonstration gegen die Einschränkung der Freiheit teilzunehmen“.

Ein Hoffnungsschimmer mag sein, dass sich die Zivilgesellschaft, vor allem SchülerInnen und Jugendliche, bereits auf den Straßen im Rahmen von Demonstrationen artikuliert. Die Proteste richten sich primär gegen den im Mai berufenen Bildungsminister und Gründer der „Allpolnischen Jugend“, der immer wieder mit rechtsradikalen und homophoben Hetzreden auf sich aufmerksam macht. Seine letzte Aktion war die Entlassung des Leiters des Zentralen Lehrer-Fortbildungszentrums CODN, Miroslaw Sielatycki. Die Begründung: Das Zentrum gibt Publikationen heraus, in welchen Schulen zu Treffen mit Homosexuellen-Organisationen ermutigt wurden. Der bekennende Neofaschist, der 28-jährige Piotr Farfał hingegen, der im Juni in den Vorstand des polnischen Staatsfernsehens TVP berufen wurde, kann trotz früherer Aktivitäten bei der rechtsextremen Zeitschrift „Front“ bleiben. Im Parlament sehen ihm dies viele als „Jugendsünde“ nach.

In diesem Zusammenhang ist die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Zunahme rassistischer Gewalt und von Gewalt gegen Homosexuelle in Europa vom 15. Juni 2006 ein Zeichen der Unterstützung aus Europa für alle, die sich gegen Homophobie und Diskriminierung einsetzen. Besonders scharf kritisiert werden Russland und Polen. In Punkt 4 der Entschließung heißt es, die EU möge geeignete Maßnahmen ergreifen, „um ihre Sorge zum Ausdruck zu bringen und insbesondere die Frage der Regierungsbeteiligung der Liga der Polnischen Familien anzusprechen, deren Führer zu Hass und Gewalt auffordern“. Darüber hinaus erinnert das Europaparlament Polen an seine Verpflichtungen im Rahmen der Verträge, insbesondere von Artikel 6 des EU-Vertrags, und weist auf mögliche Sanktionen im Falle von Verstößen hin“ und fordert „die Kommission auf, zu überprüfen, ob die Maßnahmen und Erklärungen des polnischen Bildungsministers mit Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union vereinbar sind“.

Die Schaffung einer EU-Grundrechteagentur zur Überwachung der Menschenrechte, wie sie zurzeit mit Sitz in Wien geplant wird, macht Hoffnung darauf, dass die Europäische Union ihre Werte in Zukunft noch stärker verteidigt als bisher.

Für die Frauenorganisationen (nicht nur) in Polen bleibt die Frage der nationalen Umsetzung progressiver Gleichstellungnormen. Bündnisse zwischen den Organisationen in Polen und darüber hinaus auzubauen und vor allem neue Bündnisperspektiven zu erschließen, stellen eine Zukunftsherausforderung dar.

So kann es beispielsweise nicht im Interesse der Privatwirtschaft sein, auf weibliches „Humankapital“ zu verzichten. Ohnehin gelingt es reaktionären Anliegen kaum, die Gebärfreude von Frauen auf diese Art zu beeinflussen. Gerade die liberalsten Länder der EU mit den besten Vereinbarkeitsstrukturen von Familie und Beruf sind in Sachen Reproduktionsraten am erfolgreichsten.

Gesellschaftlicher Wandel und Fortschritt sind tendenziell widerständig gegen offizielle Politik. Letztlich wird sich auch eine polnische Regierung an ihrem Erfolg und ihrer Zustimmung messen lassen müssen.

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Im Gespräch u.a. mit einer Mitarbeiterin der Frauenorganisation Feminoteka